Einem überaus interessanten Vortrag bzw. einer lebhaften Diskussion durfte das Ya Basta! am 08.10.2012 im Nürnberger Literaturhaus beiwohnen. Der Bezirksverband Nürnberg des Bayerischen Richtervereins und der Nürnberger Anwaltsverein luden ihre Mitglieder zu einer Veranstaltung, welche die Wertung und Einordnung von Straftaten rund um ein Fußballspiel als zentralen Inhalt hatte. Initiiert wurde die Veranstaltung von den Anwälten Ralf Peisl und Jahn-Rüdiger Albert, die sich aufgrund ihrer Tätigkeit im Rahmen des Engagements bei der Rot-Schwarzen Hilfe hier sehr gut auskennen.

So wurde wie durch magische Hand gleich zu Beginn der Veranstaltung aus dem Fragezeichen hinter dem Wort Sonderstrafrecht ein Ausrufezeichen - man muss kein Fachmann sein, um zu erkennen, dass vergleichbare Delikte mit anderem Hintergrund (zum Beispiel Schlägereien auf dem Oktoberfest oder das bekannte Maibaumentführen) wesentlich milder bestraft werden. Oberstaatsanwalt Alfred Huber bemerkte das zugefügte Ausrufezeichen und machte als erster Redner deutlich, dass er keine Lex Calcio erkennen kann, da er die Delikte vor unterschiedlichem Hintergrund einordnet. Fußballfans seien per se oftmals aggressiv bzw. gewaltbereit und die Szene verfüge auch nicht über eine soziale Kontrolle.

Im Gegenteil - er sieht die "Sektion Stadionverbot" als eine Art Auszeichnung und erkennt eine Solidarisierung der an sich friedlichen Fans/Ultras. Wo er Recht hat, da muss man ihm ja auch nicht widersprechen. Sicherlich gibt es eine Solidarisierung - selbige ist ja auch nötig, um gegenüber der ständigen Sonderbehandlung als Fußballfan eine Art Gegenpol zu bilden. Dass es keine soziale Kontrolle innerhalb der Szene gibt, ist völliger Unsinn, und das Argument mit dem Alkohol ist ja schon absurd - vielleicht kann man ja auch in der Welt des Oberstaatsanwaltes noch mit 3 Maß Bier Autofahren?! Die grundsätzliche Frage, ob denn der Fußball überhaupt ein Gewaltproblem habe, beantwortete er dann auch mit einem "Best of" der Ahnungslosigkeit. 

Der Pyro-Unfall von Bochum wurde zur geplanten Gewalttat und der "Fall André" (Nürnberger Fußballfan verliert einen Arm bei einer Auseinandersetzung an einem Bahnhof) sozusagen vor Abschluss sämtlicher Ermittlungen in einen klaren Fußballkontext gestellt. Herr Huber wunderte sich über Videos und Spruchbänder aus der Kurve (u.a. Randalemeister oder Derbyaufrufe) und über planmäßige Straftaten mit einheitlichen Mützen. Als Kommentar darf hier gesagt werden, dass manche Dinge auch erst dadurch schön werden, weil sie von Außenstehenden so herrlich ernst genommen und oftmals einfach dann falsch interpretiert werden. Oder wie war das doch gleich mit einer guten Provokation?

Als nächster Redner durfte der Dienststellenleiter Nürnberg-Süd, Herr Lothar Galler, seine Sicht der Dinge wiedergeben. Er beschränkte sich mehr auf Fakten (Anzahl der Stadionverbote in Nürnberg) und Beispiele (Pyroshow Frankfurt bzw. Hamburg), was letztendlich selbst beim kritischen Ya Basta!-Schreiberling den Puls etwas in gesundheitlich unbedenklichere Gegenden brachte. Am Beispiel des Hamburger Pyroeinsatzes wurde visualisiert, wie geschickt sich die Täter unter Fahnen verstecken bzw. einer Identifizierung entziehen. Einzig das eigentlich Gefährliche konnte nicht nachgewiesen werden, denn bei genauer Betrachtung des scharfen Bildausschnittes konnte man nur glückliche Menschen sehen - u.a. sogar ein paar Frauen in der ersten Reihe, alle am Singen und Lachen - und da fragt man sich mit gesundem Menschenverstand nach einer Lex Calcio? Die Polizei sieht übrigens zwischen Banda di Amici und Ultras Nürnberg 1994 keine wesentlichen Unterschiede - räumte aber ein, dass Fans in vielen Dingen (zum Beispiel der Verschleierung von Straftaten) mit der Polizei auf Augenhöhe sind, wenn nicht sogar meist einen Schritt voraus. Danke - das hört man natürlich gerne.

Vor dem Diskussionsteil referierten nun die Anwälte Ralf Peisl und Jahn-Rüdiger Albert. Zunächst wollte Herr Peisl mit Zahlen den anwesenden Richtern und Anwälten die Angst vor einem Stadionbesuch nehmen - unter anderem mit dem Klassiker-Vergleich: "Oktoberfest" vs. "Bundesliga" - im direkten Vergleich ist die gesamte Spielzeit der Liga fast schon ein Knabenchor - auch wenn das so anscheinend kaum einer hören will oder glauben kann - auch am besagten Abend im Literaturhaus. Herr Albert beschäftigte sich in seinem Vortrag mit der Frage, warum es bei Fällen mit Bezug zum Fußball in Nürnberg anscheinend keine Einstellungen mehr nach §153 gibt und ob ein Maibaum-Diebstahl nicht dann doch sehr gut mit dem sogenannten "Schal-Ziehen" zu vergleichen ist?

Der Übergang zur Diskussion gestaltete sich fließend, denn auch Richter und Anwälte haben nur eine beschränkte Zeit der ruhigen Aufmerksamkeit und wollten dann auch endlich ihre Meinungen und Fragen loswerden. Es wurden alle denkbaren Aspekte angesprochen und von den Referenten kommentiert: ACAB als Beleidigung, mediales Zerrbild der Ultrasbewegung, Datei Gewalttäter Sport, Deeskalation vs. überzogene Polizeihärte und auch die Frage nach politischer Ausrichtung der Nürnberger Ultra-Bewegung. Ein anwesender Herr fiel hier mit besonders großer Unwissenheit und hartnäckiger Beratungsresistenz auf - nach dem Motto "das sind alles Faschos". Am Ende bestätigte sogar der Polizeibeamte, dass keine rechtsradikalen Verhaltensformen in der Nürnberger Fußballszene beobachtet werden können.

Was bleibt am Ende von einer solchen Veranstaltung über? Zunächst einmal der Mut der beiden Initiatoren Peisl und Albert. Als aktive Fußballszene können wir stolz auf die Leute sein. Ohne sich zu verstellen oder jemandem nach dem Kragen zu sprechen, vertreten sie unsere Anliegen und stellen sich sogar beruflicher Kritik. Unterirdisch war vor allem eine Aussage von Oberstaatsanwalt Huber, der zusammen mit seinen Mitarbeitern sinngemäß Herrn Peisl und seine Klientel als nervig und störend empfindet. Na ja, vielleicht herrscht ja in diesen Kreisen der raue Ton, den man doch sonst so gerne dem Fußball zuschreibt oder dieser Ausfall in Ton und Stil wurde hinterher geklärt. Fairness über der Gürtellinie sieht anders aus! Weiterhin hatte der Abend natürlich einen aufklärenden Charakter und es bleibt zu hoffen, dass der ein oder andere Anwalt bzw. Richter nun einen etwas differenzierten Blick auf die Vorkommnisse rund um ein Fußballstadion hat.

Für den Berichterstatter war es auf jeden Fall sehr interessant zu sehen, wie viele Halbwahrheiten sich durch medialen Druck schon in den Köpfen einiger Personen festgesetzt haben. Die Geschichte mit dem "Nazi"-Marsch durch Fürth ist hier leider immer wieder ein negatives Beispiel. Damals hatte die gesamte Presse - bis hin zur Süddeutschen Zeitung - voneinander abgeschrieben und seither wird unsere Fanszene immer wieder und mit voller Überzeugung der Richtigkeit in eine "rechte" Ecke geschoben. Es war insgesamt ein mehr komisches Gefühl als einziger ohne Anzug im Raum das "Mäuschen" zu spielen. Als dann noch der Gang zur Toilette unausweichlich war - quer durch den Raum - konnte man die Blicke regelrecht spüren. Beim Verlassen wurde dann das Eis noch gebrochen und ein kritischer Geist stellte im Vorbeigehen die Frage: "Und Sie, sind Sie auch Richter?" - geistesgegenwärtig kam die Antwort: "Ich, hahaha ja klar - ich bin moralischer Richter."

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