Verfahren wegen Landfriedensbruchs erinnern immer häufiger an ein Lotteriespiel. So ist zum Beispiel die Jugendrichterin am Amtsgericht Erlangen der Auffassung, dass man sich einer Beihilfe strafbar macht, wenn man sich in einer „unfriedlichen Menge“, aus der heraus Gegenstände gegen Polizeibeamte geworfen werden, aufhält und „aktiv mitruft.“ Ob die Rufe sich gegen die Beamten richteten oder gegen vorbeiziehende gegnerische Fussballfans, das sei egal. Auch dient es nach ihrer Auffassung der Verschleierung der eigenen Identität, wenn man für einen Bruchteil von Sekunden ein Halstuch über den Mund zieht, obwohl man vorher schon minutenlang von Polizeikameras ohne Halstuch im Gesicht gefilmt wurde: ein Verstoß gegen das bayerische Versammlungsgesetz. Ein damals 20jähriges RSH-Mitglied kassierte dafür 750,00 Euro Geldstrafe.
Die fragwürdige Rechtsauffassung wollten er und sein Verteidiger überprüfen lassen. So kam es zur Berufungshauptverhandlung beim Landgericht Nürnberg-Fürth. Zur Überraschung der übrigen Prozessbeteiligten hatte der Richter weder Zeugen geladen noch Videomaterial beigezogen.
Brauche er alles nicht, die Sache sei doch klar, so der Vorsitzende Richter der Jugendkammer III. So sah es dann allerdings auch der Verteidiger - und beantragte „Freispruch“. Ohne die Videos überhaupt anzusehen, könne keinesfalls eine Beihilfehandlung bejaht werden, so dessen Argumentation. Da geriet auch der Staatsanwalt ins Zweifeln und weigerte sich in seinem ersten Plädoyer, eine Strafforderung zu äußern. Stattdessen stellte er Beweisanträge, u.a. auf Hinzuziehung des Videomaterials. Den wies die Jugendkammer barsch zurück. Der Staatsanwalt war sichtlich irritiert und rang in seinem zweiten Schlussvortrag um Worte: „Unter diesen Umständen, nachdem die Kammer die Beweisanträge abgelehnt hat, bleibt mir nichts anderes übrig: Ich schließe mich dem Verteidiger an und beantrage: Freispruch!“
Keine Überraschung freilich dürfte sein: Das Landgericht verurteilte trotzdem. Es sei ja wohl jedem klar, dass man sich – wenn man sich in einer solchen Gruppe aufhalte – einer Beihilfe strafbar mache. Auch die Höhe der Geldbuße änderte das Gericht nicht. Dass der 20jährige zwischen dem ersten und dem zweiten Gerichtstermin jedoch arbeitslos geworden war, interessierte die Jugendkammer nicht. Die Kammer wusste freilich genau, dass in Jugendsachen der Angeklagte kein weiteres Rechtsmittel hat.
Dafür machte das ominöse Verfahren später noch die Runde auf den Gerichtsfluren. Der Staatsanwalt prüfe eine Revision zum Oberlandesgericht, hieß es. Die kam dann doch nicht – dafür die Pensionierung des Landrichters.